WGW - Willis Gourmet Werkstatt
- Vierschänkentournee Etappe 32 -
Burg Schauenstein
Andreas Caminada

"Looks like a Smith and Wesson; probably a point four-five caliber. Gun shot at close range. This guy had no chance. We've got one very dead mob traitor here, Boss".

“No - This looks like a Cabernet Sauvignon; that's probably a '05 Barbera. A shot of Penfolds Grange. This guy is in a sodden trance - what we've got here is one very drunk wine waiter, Sarge.”

Jahaaa", dröhnte es mitten in der Altstadt von Jerusalem über meine Schulter. Und ich wusste, jetzt isses wieder so weit. Jetzt kommt wieder eine dieser Weisheiten. Wie nur er sie kann. Der Allroundexperte. So einen hat man in jeder Gruppe, die sich auf eine Stadtführung begibt. Leicht zu erkennen. Der Allroundexperte ist derjenige, der schon nach wenigen Minuten den Cityguide auf die Seite nimmt und beginnt, dem Guide dessen Stadt zu erklären.


Warum es in jeder Gruppe immer nur einen davon gibt? Nie zwei oder drei? Keine Ahnung! Vielleicht hat es etwas mit der CSU und der Obergrenze zu tun? Dabei wäre es mit zweien entspannter, die können sich gegenseitig belehren. So dass der Guide Zeit für die Gruppe hätte.


Zu behaupten, dass ich sehr neugierig auf die nun drohende neue Weisheit gewesen wäre, wäre sicherlich übertrieben gewesen. Bisher hatten wir uns so etwa in der Preislage der Aussage bewegt: "Jahaaa, Keilschrift! Ich sag immer: Keilschrift! Die muss man beherrschen, wenn man mitreden will!". Etwa zwanzig Sentenzen dieser Größenordnung waren schon über die Gruppe hinweggeplätschert, jeweils mit einem kraftvollen "Jahaaa" eingeläutet.


Ich musste irgendwie an diese unsinnigen Lebensmittelverordnungen denken, die vorschreiben, dass selbst auf Produkten wie Mineralwasser noch aufzudrucken ist, dass Spuren von Haselnüssen enthalten sein können. Und war mir sicher, dass auf den Allroundexperten übertragen, selbst die strengste Legislative nicht darauf bestehen würde, vor Spuren von Sinn in dessen Aussagen zu warnen.


Prompt wurde ich mit einem neuen Höhepunkt aus der Klischeekiste belohnt. "Jahaaa, der Palästinenser ist ja der Türke des Ägypters!" trompetete es mit Verschwörermine in die Richtung unseres jüdischen Guides. Der schlagfertig reagierte mit "Aber nur tagsüber, nachts ist es ja kälter als draußen." Na gut, vielleicht habe ich das auch nur hören wollen und hat er statt dessen etwas über den Felsendom erzählt, der Guide. Der Allroundexperte war jedenfalls mit mehr Sendungsbewusstsein ausgestattet als manche Radiostation. Einen Werbeslogan hatte ich schon im Kopf: "Das Dümmste der Achtziger und Neunziger und der größte Unsinn von heute." Der Mann schafft es wirklich, von allem so wenig zu verstehen, wie die Scheffin von Igelstacheln.


Aber das lässt sich mühelos noch steigern. Als es bei einer mittäglichen Pause Wein zum Essen gab und sich in der Gruppe eine Diskussion darüber entspann, welcher Tropfen denn am besten zur Sesampaste zu trinken wäre, sägte es wieder quer an meinem Trommelfell vorbei: "Jahaaa, Piemont! Piemont geht immer! Aber Vorsicht! Den Dolcetto, den trinkt man ja nuuuur zum Essen.

Den Barolo und den Barbaresco dagegen, die darf man niiiie zum Essen trinken, die trinkt man nur so, ohne Begleitung."

Seit dem "Kottrohn" des von Andreas Bürgel Anfang der Nuller Jahre so treffend beschriebenen selbsternannten Weinexperten ist größerer oenologischer Unsinn nicht mehr abgesondert worden - oder zumindest nicht von Weingeschwätz-Historikern belegt worden. Auch deswegen entgegnete ich mit unschuldigem Augenaufschlag: "Aber der Dolcetto ist doch der Traminer des Weißburgunders, oder?" Pause, Kopfschütteln, Nachdenken, wieder Pause. Und Kehrtwendung zu einem neuen Thema: "Jahaaa, und überhaupt, man isst ja in diesen einfachen Lokalen viel besser als in der Sterneküche. Bei Caminada in der Schweiz zum Beispiel, da war ich mal, da kriegt man winzige Portionen und das ist ja alles viel zu übertrieben."

Jahaaa, da wusste ich, zum Caminada musst Du hin, viel besser kann man wahrscheinlich nicht kochen als der, wenn der Antikompass so massiv abrät!

Also klemmte ich mir zurück in Mitteleuropa flugs die beste Igelin von allen unter den Arm, warf den Motor der bayerischen Hochtechnologie an und steuerte zielstrebig in Richtung der Burg Schauenstein in Fürstenau bei Thusis. Ein wenig wunderte ich mich schon, dass die Straßenschilder nicht in Keilschrift gehalten waren, aber lassen wir das! Konzentration auf das Wesentliche, die viel zu kleinen Portionen.

Die ersten waren tatsächlich recht übersichtlich, was auch damit zusammenhängen mag, dass es sich um Amuses handelte. Die wir in der Bar des Hauses zu uns nahmen. Von trefflicher Qualität waren sie, oha! Wenn ich da jedesmal einen Kniefall gemacht hätte, wo es kulinarisch angezeigt gewesen wäre, hätte das ein ganz hübsches Fitnessprogramm ergeben.


Denn der gute Herr Caminada war in solcher Hochform, dass er uns gleich mit einem ganzen Bataillon Appetithäppchen verwöhnte. Einem genialen salzigen Pralinchen mit flüssiger Füllung von grünen Salat ("Kopfsalat-Shot" getauft, insofern nur knapp am Kopfschuss vorbei), mit Basilikum und Estragon perfekt abgeschmeckt, schlicht Weltklasse. Dann ein Fellchen im Radikleid. Da hatte ich Sorge, ob der zarte Fisch mit dem scharfen Rettich mithalten würde, doch ein wenig Gemüsejulienne zwischen den beiden Parteien sorgte für Eintracht und Verbindung, wieder hervorragend. Ein Sauerampfercracker, würzig und knusprig, der Keksteig selbst schon so intensiv, dass der Ampfer fast ein wenig strampeln muss, um noch sauer sein und lustig machen zu können.

Skeptisch bin ich an das geräucherte Huhn heran gegangen. Der Igel ist Nichtraucher, on connait la chanson. Hier war der Rauch aber nur ein Lüftchen, kein erschlagendes Element. Man schmeckte eine elegante Kräuterwürze, Thymian vor allem, noch sehr deutlich heraus. Das Ganze auf optimalem Garpunkt und wunderbar saftig. Superb!

Weltklasse und mehr als Grund genug für den nächsten inneren Kniefall war dann die Stopfleber von der Ente im Lebkuchenkeks. Nur ein Miniwürfel, der Allroundexperte hatte mich ja gewarnt, aber so intensiv, so fein und so schmelzig, hach, einfach nur perfekt!

Für mich Anlass genug, die Küche darum zu bitten, einen der sechs Gänge des irgendwann ja noch bevorstehenden eigentlichen Menüs durch einen Stopflebergang zu ersetzen. Davon MUSSTE ich mehr haben.

Schließlich gab es auch noch Lebermandeln. Der erinnerten optisch an gebrannte Mandeln, waren wohl auch ein klein wenig angeröstet, dann aber hauchdünn mit Stopfleber ummantelt und mit ein wenig rotem Pulver auf gebrannte Mandel eingefärbt. Erneut nicht weniger als genial!
Caminada muss mal Tennis gespielt haben, nach dem first service gab es einen second service von Amuses. Rote Bete-Eis im Knusperkeks zum Beispiel. Dazu eine Art Chip von Rote Bete, aufgeblasen wie eine pomme soufflée. Ganz ehrlich, der Knusperkeks war so süß, dass das Eis nicht ganz harmonisch dazu schien. Nahm man aber den würzig-salzigen Chip hinzu, stellte sich ein phänomenales Gleichgewicht ein und ergab sich ein kleines Wunder an Tiefe und Fülle. Großes Kino, einmal mehr.

Da wir noch zwei Freunde aus der Schweiz dabei hatten, war nun auch die Flasche Larmandier-Bernier leer. Dramaturgisch ein guter Zeitpunkt, zum Tisch zu wechseln und eine 2009er Vinothekenfüllung vom grünen Veltliner von Knoll zu ordern. Damit uns nicht langweilig wurde, gab es derweil einen weiteren Appetizer, "Schinken, Brot, Senf". Also eine Brotkugel mit etwas Schinken darin, einer Art warmem Schinkenaspik und einem dezenten Senfschaum dazu. Begleitet von einer "Brotessenz", die wie eine sehr konzentrierte Fleischbrühe wirkte (das dürfte auch die Basis gewesen sein), in die man irgendwie ein nachdrückliches Brotaroma hineingebracht hatte. Ein echtes Brotaroma, also etwas Gutes, nicht wie diese Zumutung, die bei uns als "Brottrunk" die Lebensmittelabteilungen zur Geisterbahn macht. Einen Cracker mit Gemüsejulienne und einem Klecks süßem Senf gab es auch noch dazu. Das alles verband sich so perfekt, dass die nächste virtuelle Kniebeuge anstand. Was für eine Ouvertüre!

Und wir waren ja noch immer bei den Grüßen aus der Küche. Zu denen auch das nun aufgetischte Rotkohleis mit Senfcremefüllung noch rechnete. Erst schien mir das Rotkohlaroma im Eis ein wenig zu verhalten, doch dann stieß ich unten noch auf ein paar Rotkohlstückchen, die den organoleptischen Turbolader zündeten und schon war ich wieder im Himmel! 


Bis hierhin, so erläuterte der Maitre fachkundig, waren das eigentlich nur Pre-Amuses.


 Erst jetzt, so gegen 22 Uhr kam das erste offizielle Amuse, die Crudité von grünem Gemüse. Ein im Teig ausgebackener Lauchring, Zuckererbsen, Avocado, Kräuter, vor allem Estragon. Alles perfekt dosiert, im optimalen Gleichgewicht, was der Sache, letztlich einem gekräuterten Gemüsemix, eine ungeahnte Tiefe und Vielschichtigkeit verlieh.

Die Avocado war natürlich auf dem Punkt und setzte von der buttrigen Textur her einen schönen Kontrapunkt zum knusprigen Lauchring. Köstlich!


Und noch ein Amuse, und wieder ein Knüller: Kaisergranat, einmal gebraten - natürlich perfekt, nicht mehlig, nicht überröstet - einmal als Tatar und einmal in der Bouillon.


Dazu Karotte in unterschiedlichen Aggregatzuständen, als blanchiertes Carpaccio und als Mus. Sensationell abgeschmeckt mit asiatischen Gewürzen, Zitronengras und Koriander.


Dies ist vielleicht der Moment darauf hinzuweisen, dass alles bisher Aufgefahrene auch optisch ungemein ansprechend arrangiert war. Ich gebe da nicht viel drauf, entscheidend ist ja vor allem der Geschmack.

Aaaaber, hier wird das Arrangement auf dem Teller geradezu zur Kunstform erhoben. Selten, nein, nie habe ich es erlebt, dass eine Küche das so großartig über ein Menü hinweg durchzieht.


Dieses gesagt habend, darf ich dennoch ein ganz kleines Fragezeichen an die Praxis malen, in jedem Menü ein Gericht auf einem sogenannten "Splendur" zu servieren. Das ist eine Art Tablet, auf dem angerichtet wird und auf dem, während man isst, ein angeblich zum Gang passendes künstlerisches (ungegenständliches) Video abgespielt wird.


Nun gut, das braucht jetzt eigentlich kein Mensch, auch kann ich nicht unbedingt beurteilen, ob und wie ein an den Blick durch die Kinderkaleidoskope erinnerndes Video mit bunten Sternen, Gräsern und Ästen zu meiner Entenstopfleber passt. Aber das wäre nur richtig schlimm gewesen, wenn das I-Pad von einem mittelmäßigen Gericht hätte ablenken sollen. ...

Und das war definitiv nicht der Fall. Mein persönlicher Höhepunkt dieses Abends war die auf diesem Tablet servierte Deklination der Entenleber. Exquisites, überraschend geschmacksintensives Foie Gras-Eis, ein grandioses Leberparfait, perfekt zimmertemperiert, und eine hochgeniale gebratene Entenstopfleber. Dazu ein wenig Apfel in unterschiedlichen Formen, das passte perfekt. Höchstpunktzahl! Nur Vorsicht beim Aufräumen, das I-Pad sollte nicht in die Spülmaschine...

Nun kam wieder eine optische Überraschung. Damit meine ich weniger das geräucherte Entrecote, das in die Mitte des Tischs gestellt wurde und das wir uns selbst teilen sollten. Sondern eher das Rindstatar, das dazu gereicht wurde. In einer Kristallschale, in der sich rund um das Tatar ein Palisadenzaun aus Spargelspitzen rankte.

Bewusstes Zitat aus der Anrichtekunst der fünfziger Jahre. Es hatte was von Käseigel. Ebenfalls noch mit auf dem Teller: Ein perfekt abgeschmeckter Kopf- und Spitzkohlsalat auf Rindscarpaccio. Und ein paar Flusskrebse. Surf and turf, sozusagen.


An die Krebse hatte man einen kleinen Klecks sehr intensiver Bisque angegossen. Zum Glück nur einen kleinen. Sonst hätte die Intensität alles andere an die Wand gespielt.


Mir war es mit der Räucherung beim Entrecote eher eine Spur zu viel. Persönliche Geschmacksache, die drei anderen waren zufrieden.


Dennoch war die Harmonie hier vielleicht nicht ganz so perfekt und strahlend wie bei den anderen Kompositionen des Abends. Keine persönliche Geschmacksache, sondern allgemeine Meinung am Tisch. Das Prinzip des Teilens am Tisch fanden wir dann alle wieder ganz innovativ und nett.


Dreisternewürdig war sicherlich auch dieser Gang, nur halt nicht ganz so überragend wie der Rest.


Der Sauvignon Blanc aus Graubünden dazu lief recht flott rein, eine sehr gute Empfehlung des Sommeliers.

Die beste Igelin von allen bekam nun eine Kartoffel Creme Brulée mit Morcheln. Ebenfalls sehr gut, vielleicht eine Spur zu morchellastig, ich hätte noch einen Hauch Sahne mehr daran gegeben.


Wir bekamen indessen "konfitierten Zander" mit eingelegten Artischocken, Kaperncreme und hauchdünnen Champignonscheiben.


Das funktionierte bestens. Kapern, Artischocken und Fisch stehen sich gleichberechtigt gegenüber und unterhalten sich ungezwungen.


Das Konfieren, diese Anmerkung sei erlaubt, holt aus dem Fisch nicht die ganze Fülle der Aromen heraus, die er etwa bei der Zubereitung in der Bratpfanne mitbringen könnte.

Vielleicht ganz gut so, sonst würde er, jahaaa, den Kapern wahrscheinlich lange Monologe halten und die Artischocken belehren. Insofern erneut ein Harmoniewunder zwischen Messer und Gabel und erneut eine kleine Offenbarung.

Und immer deutlicher erkennt man den Stil des Hauses Caminada - aus einer beachtlichen Fülle von Zutaten wird eine perfekte Harmonie komponiert, in der man die einzelnen Ingredienzien oft gar nicht mehr herausschmeckt.


Hat etwas von Ducasse in seinen besten Zeiten!


Großzügig dann auch der Käsegang. Eine Käseauswahl, ausschließlich aus der Region, selbst eine Art Bündner "Parmesan" gab es.


Dazu bekamen wir gekochte Kartöffelchen, fünferlei Bündner Wurstwaren (Speck, Bündnerfleisch, Rauchfleisch, Salami) und Maluns. Das ist geriebene Kartoffel, paniert und in Fett ausgebacken.

Außerdem leicht schokoliertes Mandelfrüchtebrot. Eigentlich waren das zwei bis drei weitere Hauptgerichte

Zum Lamm und zum Käse hat uns der 2009er Syrah von Mercier aus dem Wallis ganz trefflich gemundet, wie man überhaupt sagen muss, dass die Weinkarte enzyklopädisch und fast exklusiv mit besten Jahrgängen bestückt ist.


Die Koeffizienten fand ich teilweise schon ein wenig mutig, andererseits kann man etwa bei den gereiften Bordeaux auch durchaus Schnäppchen finden.


Nun kam noch einmal ein Wunderwerk - das Quarksoufflé. Mit Rhabarber in dreierlei Erscheinungsformen.


Eis, Chutney und Gelee. Abgerundet mit Joghurtcreme und einigen getrockneten Joghurtkrümeln.

Alles wunderbar, doch degradiert das himmlische Soufflé die anderen Komponenten zu Nebendarstellern. Na gut, auch für Nebenrollen gibt es Oscars, und den bekommen Rhabarber und Joghurt dann sicherlich. Perfekt! Einmal mehr.


Bei den Mignardises wird auch noch einmal die ganz große Oper gegeben: eine unfassbar gute Pflaumen-Sanddorn-Sphäre, ein gutes Apfelmacaron, ein sehr feiner Blaubeerkeks, ein paar Frucht-Keks-Lollies, eine großartige Praline von Himbeere und Mandelmilchmousse, ein Mokkasahnetrüffelchen und Schokoladenganaches.

Fazit: Große Küche, große kompositorische Fähigkeiten, sichere Hand beim Dosieren, innovative Gerichte, innovative Präsentation, wohl das derzeit beste Haus der Schweiz! Großes Menü ca. 250 Euro.

Und um uns zu wappnen, falls auf dem Weg zum Hotel im (von der Burg Schauenstein als Service organisierten und bezahlten!) Taxi der kleine Hunger zuschlagen sollte, gab es noch eine Nusstorte, etwas Nougat und ein paar Marshmellows mit auf den Weg. Alles kleine Portionen, jahaaa...


Apropos Portion, der Igel is(s)t wahrlich keine halbe, eher eine Doppelte wenn's sein muss - wie beim legendären Besuch im Masa . Und auch der 32. Etappenstopp sollte alle Masse und Massanzüge sprengen...


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