WGW - Willis Gourmet Werkstatt
- Vierschänkentournee Etappe 35 -
Georges V
Christian Le Squer

Jetzt ist die Wintersportsaison dann endlich wieder vorbei und man riskiert nicht mehr, bei Einschalten des Fernsehers Markus Waswörndl-Riesch über den aggressiven Schnee philosophieren zu hören. Aggressiver Schnee... Da hab ich gleich wieder Bilder im Kopf. Ein Schneekristall, das mir mit der Faust droht und dabei wüste Beschimpfungen ausstößt. Auf Eurosport sieht man die Sache ganz anders und spricht vom stumpfen Schnee. Und wieder sehe ich ein Schneekristall vor mir, auf einem fussbroichesken Sofa, im Unterhemd, in die Gegend stierend und kulturell wie intellektuell völlig desorientiert.


Äh, ja, wie komme ich jetzt vom Schnee zur Gastronomie? Da kommt einem im Zusammenhang mit Schnee eigentlich nur der Witzigmann in den Sinn. Und bei dieser Art von Schnee weiß man ja auch nie, ob der stumpf oder aggressiv macht.


Aber der Igel hat die besten Techniker und perfektes Material und wedelt gleich mal weiter an die Seine. Genauer gesagt ins Le Cinq, einen der dreigesternten Tempel der französischen Hauptstadt. Viele schöne Erlebnisse verbinde ich mit dieser Adresse, allen voran das komplett mit Scheiben vom schwarzen eingekleidete Artischockenherz. Eine der stimmigsten Komposition, die je in den Igelmagen gewandert sind.


Doch das war noch unter Philippe Legendre, inzwischen ist Christian Le Squer aus dem Ledoyen ins Georges Cinq umgezogen und hat die Küche ein wenig umgekrempelt.

Am grandiosen Rahmen hat sich freilich nichts geändert. Das Restaurant gehört zum Hotel Georges Cinq, vielleicht der nobelsten Adresse von Paris. Erst einmal muss man die Hotelhalle durchqueren, und da wäre es ganz gut, wenn man schwimmen kann, denn es geht durch ein Meer von Blumen. Dann eine kleine Landzunge, ehe man um die Ecke abbiegt und neuerlich vor einem Blumenmeer steht. Frische Schnittblumen, hunderte von Rosen, tolle Gestecke und ein Haufen Orchideen dazwischen.

Endlich durch die Tür des Le Cinq geschritten versinkt man in tiefen Teppichen, durch die man vorsichtig zum Tisch watet, vorbei an Spiegeln mit goldenen Rahmen, geschmackvollen Ölbildern, großen Fenstern zum Innenhof, das ganze in einer Art Empirestil gehalten, nobel aber nicht protzig.

Der Sommelier bietet mir einen Chapagner von Diebolt-Vallois an, extra für das Le Cinq mit weniger Dosage abgefüllt, 4 Gramm statt der üblichen 6, erzählt er mir stolz. Das funktioniert, die Plempe ist durchaus saufbar. Nur ein wenig kalt. Ich wärme vorsichtig mit der Igelpfote.


Der Maitre sieht das und bekommt fast einen Schlaganfall, wirft sich vor mir auf den Teppich - na gut, der ist so weich, da kann man sich nicht verletzen. Er entschuldigt sich wortreich, das dürfe nicht passieren und man werde mir selbstverständlich ein neues, richtig temperiertes Glas servieren. Ich versuche, ihn zu beruhigen, sinnlos. Das neue Glas kommt, das alte bleibt stehen, ich trinke beide und sage mir, dass man hier Stil hat. Die hausgemachte Butter kommt unter einer Glasglocke, die auch gegen zudringliche Russen am Nebentisch hilft.


Freude macht mir dann die Stopfleber mit Passionsfrucht und einem Hauch Kaffee, die auf einem salzig-süßen Cracker serviert wird. Erst denke ich, dass das nicht funktioniert, denn die Passionsfrucht schlägt recht flott und kräftig an den Papillen an und droht das Leberchen zu erschlagen. Kurz vor Vollendung des Delikts kommt dann der Kaffee um die Ecke und das Salz des Crackers. Beide zusammen bereiten der süßlichen Leber den Weg, die jetzt plötzlich extrem präsent ist und wunderbar mit der Säure der Passionsfrucht und der Bitterkeit des Kaffees spielt. Großartig! Dieses Prädikat bekommt auch die mit Mandel und Kirschsaft gefüllte Kirsche, intensiv und wunderbar lang am Gaumen, fein!

Und dann lächelt mich ein hausgebackener Gugelhupf mit Conté und Chorizo an, im eigenen kleinen Porzellankrug serviert. Wow, auch da funktioniert die Harmonie zwischen Süße und Salzigkeit perfekt. Nur die Camparisphäre mit Ingwer vermag mich nicht richtig zu begeistern. Der Campari dominiert ziemlich und mir erschließt sich auch das Spiel mit dem Ingwer nicht wirklich, bitter und scharf ergänzen sich irgendwie nicht.

Zeit, einen Blick auf die Weinkarte zu werfen. Sagenhafte Auswahl, aber, sagt mal, Leute, die Koeffizienten, da hole ich mir gleich meinen aggressiven Schnee zu Hilfe und wir hauen dem Sommelier einen vor die Mütze. 1300 Euro für einen 2009-er Palmer? 180 Euro für eine Hölle von Künstler aus 2005? 280 Euro für einen Singerriedl aus 2009? Na ja... EK mal vier, sechs, acht, auch bei höherpreisigen Weinen, das geht auch anders, siehe Pierre Gagnaire oder Astrance. Es finden sich aber auch einige günstiger kalkulierte Trouvaillen. Und zum sechsgängigen Menü (210 Euro) wird ein Pairing angeboten, das mit 100 Euro recht fair gerechnet scheint, das teste ich mal.

Zunächst grüßt die Küche noch einmal, mit Melonenkügelchen mit Eisenkraut, Mandeln und Melonenpüree. Das funktioniert perfekt, Frucht und Nuss, dazu die Kräuter, perfekt dosiert, kräftig, lang und dabei elegant. So darf es weiter gehen!

So geht es aber nicht weiter, nein, es wird noch besser. Zwei Stangen perfekten Spargels werden aufgefahren, garniert mit dünnen, noch fast rohen, salatigen Spargelscheiben. Dazu Kirschextrakt und eine mit Senf und Essig gesäuerte Bechamel. Ein Feuerwerk an Säure, Cremigkeit und Frucht, das rahmt den Spargel perfekt ein, ohne ihn in den Hintergrund zu schieben. Der Igel holt tief Luft und verkneift sich mit Mühe einen Freudenjodler, diesen Schwung wäre ich gerne auf zweimal gefahren - Zugabe, Zugabe!!! Die bekomme ich immerhin von dem dazu gereichten Condrieu, der nicht nur perfekt zum Spargelgericht passt, sondern auch für sich ein kleines Kunstwerk darstellt.

Als nächstes gibt es eine Zwiebelsuppe "revisité", also überprüft und neu ausgerichtet. Was in diesem Fall so aussieht, dass es keine Suppe mit Zwiebeln drin gibt, sondern Zwiebeln mit Suppe drin, angerichtet auf Zwiebelscheiben, die man in Brühe gargezogen hat.


Etwas geröstetes Brot und Parmesan sind auch noch unter die Suppe gemischt, auch ein wenig Trüffel, die aber nicht zu schmecken ist.


Das ist sehr gut und ungemein intensiv. Vor allem gefällt mir die perfekte Dosierung von Parmesan und Röstbrot, die mit den Zwiebeln auf Augenhöhe diskutieren. Na gut, es bleibt halt doch irgendwie Zwiebelsuppe und von daher ein wenig einfach, dennoch würde ich, gerade so, die drei Sterne des Hauses auch hier dranmontieren.

Mindestens vier Sterne verdient das Pairing mit dem 1985er Madeira, Donnerwetter, wenn das so weiter geht, muss man hier tatsächlich das Pairing zum Menü ordern, das sind hochwertige Tropfen, die perfekt passen..


Es war Freitag, insofern hatte ich Anrecht auf ein wenig Fisch. In diesem Fall in Form von Merlan, an einer mit geräuchertem Senf aromatisierten Sahne, dazu Heidelbeeren, etwas Heidelbeerpüree und Kiwis. Freunde, das ist Weltklasse!


Der Fisch nimmt den nur ganz leicht räuchrigen Sahnesenf wie einen Turbolader, das holt den Eigengeschmack des Merlan center-stage, die Beeren und die Kiwi legen eine Fruchtkomponente darauf, die Kresse bringt einen floralen Touch und eine leichte Schärfe, das ist nicht weniger als perfekt!


Ob der 2013-er Puligny Montrachet von Francois Carillon auch zum üblichen Winepairing gehörte, bezweifle ich ein wenig, am Nachbartisch wurde ein Chablis serviert - aber nachdem ich mich vorher schon sehr nett mit dem Sommelier unterhalten hatte, wollte er mir wohl eine Freude machen.

Und wieder eine Harmonie zwischen flüssiger und fester Nahrung, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann.


Nun reichte man eine Taube. Fast pur, nur auf ein wenig getrüffeltem Auberginenkaviar. Dazu einige winzige Navets. Der Kaviar ist ein solcher. Er schießt alle Vögel ab, nun weiß ich auch, wie die Taube zu Tode gekommen ist. Und die Trüffel sorgen für weitere Durchschüsse. Formidable!

Die Taube auf dem Punkt, na klar, rosa, zart, kein haut-gout, würzig, wunderbar! Begleitet von einem Cote Rotie 2013 aus dem Hause Jamet. Der zum Geflügel ebenfalls hoch flog, ohne die Taube aber ein wenig ruppig wirkte, so als lauerte in ihm ein kleiner Bretanomyces-Stinker.  Noch hat er aber Frucht und viel Saft, wieder ein sehr guter Wein aus dem Pairing.

Mit dem Dessert schließt sich ein wenig der Bogen zu den Amuses, es werden noch einmal Kirschen und Mandeln aufgefahren, auf Pistaziencreme. Kirschen und Mandeln, das weiß man, das ist bekannt, das gelingt immer und klebt nicht, gerade wie der Uncle Ben´s Reis.


Die Pistazien streiten sich erstaunlicherweise nicht mit den Mandeln, sondern ergänzen diese ziemlich gut, auch weil die Mandeln recht süß und die Pistazien eher salzig ausgebaut sind.


Den Urknall gibt es aber erst, wenn man den 2014er Malvasia von einer kleinen Insel nördlich von Sizilien dazu nimmt. Der ist sowas von aprikosig und dabei so samtig, dass man zu vermuten versucht ist, dass Aprikosen etymologisch etwas mit "kosen" zu tun haben müssen. !

Das streichelt den Gaumen und rollte den Kirschen, Mandeln und Pistazien einen dicken roten Teppich aus.


Dazu werden drei Pralinen gereicht. Eine unglaubliche von der Vanille, eine sehr luftige, leicht zitronierte Meringue und eine sehr knusprige von der Pekanuss, auch dies alles superb.


Danach werden noch Erdbeeren mit Sahne aufgefahren, auf eher neutraler weißer Schokolade, mit Essig-Brausekrümeln, die mich ausnahmsweise einmal nicht stören, obwohl ich im Nebenamt Chefankläger der Vereinten Nationen gegen die Verwendung von Brausekrümeln in der Hochküche bin.


Passt auch wieder alles gut zusammen, bleibt auch schön lang am Gaumen, auch dies sehr fein, auch wenn das Tor zum Himmel nicht ganz so weit aufgeht wie bei den Kirschen zuvor.


Vielleicht der einzige Gang, dem ich den dritten Stern versagen würde. Dafür passt der Moscato von La Spineta perfekt dazu!

Nun kommen noch einige Köstlichkeiten vom Dessertwagen - Guimauve vom Absinth, unglaublich, toller Nougat, hausgemachte dunkle Schokolade mit Nüssen, dunkle Pralinen, gebrannte Mandeln, Croissantteigteilchen und dann drückte man mir auch noch einen Haufen Karamel zum mitnehmen in die Igelpfote.


Ein denkwürdiges Menü mit exquisiten Weinen, das hat mir gefallen, die Sommersaison kann kommen, der Igel ist präpariert und hat die im Winterschlaf verlorenen Kalorien fast an einem Tag wieder draufgefuttert.

Die 36. Etappe der Vierschänkentournee führte Gott sei gedankt in nur in dem Namen nach bergigere Gefilde - der Speckproviant für den nächsten Winter war also nicht durch anstrengende Kletterpartien gefährdet.


Share by: