Dobro Dosli & Dobrodosao
Willi Igel in Bosnien & Herzegowina

von der Balkanroute ist in den letzten Jahren viel zu hören und zu lesen. Dabei wird meist verschwiegen, dass die ersten, die diesen Weg nach Zentraleuropa einschlugen, die Osmanen waren. 1529 standen sie vor Wien. Und erfuhren dort, was so mancher Flüchtling heute auch wieder lernen muss das Stadttor von Wien ist eine der härtesten Türen Europas. "Nur für Stammgäste", brüllte der Türsteher ihnen entgegen, also für Gäste vom Stamm der Austriaker, des degenerierten Bergvolkes vom Nordbalkan. Schon damals blieb man lieber unter sich, in Austrien, was den Genpool angenehm übersichtlich hält und am Ende dazu führt, dass jeder mit jedem verwandt ist. Seitdem heißt der Osmane Türke, weil er halt der war, der vor der Tür stehen blieb.


Aber nicht lange. Auf dem Nordbalkan nicht gelitten, widmete sich der Türke ganz der Besatzung und Unterwerfung des Restbalkans. Mit Erfolg, er riss sich weite Teile des späteren Jugoslawiens unter den Nagel und regierte einige Jahrhunderte über diese Gebiete. Dabei versuchten die Besatzer natürlich auch, die Indigenen, zumeist Christen, von der intrinsischen Schönheit des Islams zu überzeugen. Mit gemischten Erfolgen, in Bosnien, Albanien und dem heutigen Kosovo gelang das ganz gut, in Mazedonien und Montenegro gab es zumindest einige Landesteile, die Allah interessanter als Gott fanden, im heutigen Kroatien und Serbien blieb man lieber christlich. Der religiöse Flickenteppich, der dadurch zwischen Tirana und Zagreb entstand, sollte aber später eine wunderbare Projektionsfläche zur Aus- und Abgrenzung anderer liefern, so sich dass Kriege und Bürgerkriege auf dem Balkan nicht nur anhand von landsmannschaftlichen Konfliktlinien, sondern stets auch anhand von religiösen Differenzen anheizen ließen. Bosnische Serben orthodoxen Glaubens und bosnische Muslime schlagen sich dann zunächst untereinander, anschließend getrennt oder gemeinsam mit christlich-kroatischen Bosniaken und bosnischen Bosniern sowie kroatischen Kroaten und den VN-Truppen, die wir in die ganze Unordnung schicken müssen, damit einer die Hellgrünen und die Dunkelgrünen auseinandersortiert.


Aber ich greife vor. Zwischen den Türken und dem Chaos der Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens ist ja noch eine Menge passiert. Erst einmal haben die Russen den Türken eine empfindliche militärische Niederlage beigebracht.


Woraufhin die Türken Bosnien-Herzegowina an die Österreicher abgeben mussten. Vom Regen in die Traufe, könnte man sagen, denn von den degenerierten Skilehrern aus dem Norden wollte sich der stolze Bosniak natürlich nichts sagen lassen. Also nahm er sich den österreichischen Großherzog Franz-Ferdinand vor. Als der auf Staatsbesuch in Sarajewo weilte, lud der Revolutionär Gavrilo Princip seinen Revolver mit ein paar Mozartkugeln durch und feuerte solange auf den austrischen Thronfolger, bis der eine Prinzenrolle rückwärts aus seiner Limousine machte und so großzügig sein blaues Blut vergoss, dass auch die eilends herbeigerufenen Notärzte nichts mehr machen konnten.


Da Princip auch Serbe war, wurde die Sache für die Österreicher zu einer Prinzipienfrage. Man erklärte Serbien den Krieg, somit auch Serbiens Schutzmacht Russland und indirekt sogar Frankreich, mit dem Russland ein Militärbündnis geschlossen hatte. Deutschland hingegen war leichtsinnigerweise mit Österreich verbündet und wurde ebenfalls mit in die Sache hineingezogen. Letztlich kann man sagen, wenn nur der Falsche auf den Abzug drückt, kann wegen eines toten Skilehrers ein ganzer Weltkrieg ausbrechen.


Am Ende dieses Krieges begann man bereits den unübersichtlichen Staatenhaufen des Balkans zu einem Bundesstaat zusammenzukehren. Damals hieß der noch Königreich Jugoslawien. Nach dem nächsten Weltkrieg versucht man es dann ohne Adelsgeschmeiß und gründete die sozialistische föderative Republik Jugoslawien. Die unter Tito zunächst florierte, offiziell blockfrei war, was inoffiziell bedeutete, dass man sich zwar aus Moskau Finanzspritzen geben lassen konnte, gleichzeitig aber auch rudelweise Touristen aus Westeuropa zu Gast haben konnte.

Schauplatz Un-Hauptquartier New York: hier boxte Willi Igel

eigenhändig die Aufnahme Bosnien-Herzegowinas in die UN durch

Insbesondere solche, die mehr Wert auf niedrige Preise als auf hohes Serviceniveau legten. Wenn der Kellner beim Dinner einmal nicht tätlich geworden war, konnte man schon von einem außerordentlich gelungenen Abend sprechen. Der Kasernenhofton des Personals in den Frühstückräumen des Landes genoss Kultstatus. Wer das nicht slivowitzig fand, musste halt dagegen ansaufen.


Irgendwann bröckelte mit dem Sowjetimperium auch die finanzielle Unterstützung aus Moskau. Tito war an einer Cevapcici-Allergie verstorben, es fehlte der starke Mann, der den jugoslawischen Laden noch hätte zusammenhalten können. Als dann auch noch ein Bosnier in einem Lokal in Zagreb nach serbischem Reisfleisch verlangte, brach der Bundesstaat zusammen, der Reihe nach erklärten sich Kroatien, Slowenien und Bosnien für unabhängig.


DieZentralgewalt im serbischen Belgrad fand das grenzwertig und die ersten Balkankriege begannen. Jeder gegen jeden, alle gegen die Menschenrechte, die Holländer standen in Srebrenica nah genug daneben, dass sie es hinterher jedem berichten konnten. Warum sie im Angesicht des Massenmordes untätig geblieben sind, haben sie nicht erzählen können, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Eigentlich waren die Serben relativ schnell besiegt und hätte man das Kriegskapitel erstmal schließen können, in Bosnien erklärten sich nun aber einzelne Teile des Landes für unabhängig. Und fielen übereinander her. Wieder musste die UNO einschreiten, denn es war zu gewärtigen, dass sich früher oder später jeder der zwei Millionen Einwohner für unabhängig erklären würde. Für die Diplomaten aus zwei Millionen neuen Staaten wäre in der UN-Vollversammlung in den Räumlichkeiten in New York aber nicht genug Platz gewesen. Das musste unterbunden werden.


Um die zentrifugalen Kräfte zu bänden beschlossen die Vereinten Nationen im Abkommen von Dayton, den Bosniern ein Staatskonstrukt aufzustülpen, das ein maximales Maß an Eigenständigkeit für die bosnische Teilrepublik, die serbische Teilrepublik, die Sonderverwaltungszone Brcko und die zehn Kantone vorsah, in die sich das Ganze noch unterteilt. Drüber schwebt eine Föderalstruktur, die aber wenig zu sagen hat. Insgesamt gibt es über 200 Minister, doppelt so viele Vizeminister und Staatssekretäre, wer in Bosnien im Alter von 35 Jahren noch immer keinen Staatssekretärsposten ergattert hat, gilt gesellschaftlich als Versager und darf von der Familie verstoßen werden.


Um eine politische Initiative bis zum Erlass eines Gesetzes voran zu treiben, wird die Zustimmung praktisch aller Entitäten benötigt. Das ist schwieriger als im Umland von Berlin einen Flughafen zu bauen und bislang auch noch nicht geglückt.


Deswegen hat die EU-Kommission den Bosniern die Auflage erteilt, vor der Aufnahme in die Europäische Union zunächst einmal ein Staatskonstrukt zu entwickeln, das wenigstens einen Anflug von Regierbarkeit ermöglicht. Und wer wäre besser geeignet, die Bosnier dabei zu unterstützen als der Igel?


So bin ich 2012 zu meinem ersten Besuch nach Sarajewo aufgebrochen. Ernüchternd, muss ich sagen.

UN-Truppen überwachen in der Zwischenzeit

das Einhalten des Abkommens von Dayton


Koliko stoji? Wellnessangebot im Hotel Europe in Sarajevo

Die meisten Gebäude wiesen noch deutliche Spuren des Bürgerkrieges auf. Viele Fassaden waren nur provisorisch instandgesetzt. Und wie ich am eigenen Leibe erfahren musste, lag selbst in den 5-Sterne-Hotels noch vieles im Argen. Wie zum Beispiel die nicht funktionierende Klimaanlage in meinem Zimmer.


Das im Zimmer herrschende sehr dezente Dämmerlicht hingegen könnte man damit erklären, dass man hier immer noch vor weiteren Angriffen der Kroaten und Serben Angst hatte. Oder einfach damit, dass in Bosnien eben gerne vieles verdunkelt wird.


So ist in diesem Land eben gar nichts so ganz leicht ersichtlich, wie auch der Klimaanlagenmechaniker erleben musste, als er im funzeligen Schein meiner Deckenbeleuchtung prompt über meinen Koffer stolperte.


Aus dem Wellness-Angebot-Prospekt, den ich teils wegen der Dunkelheit - aber größtenteils wegen der eigenwilligen Übersetzung – nur mit Mühe entziffern konnte, war völlig unersichtlich, welchen Preis man denn nun eigentlich bezahlen muss, wenn man sich in der Privatsphäre seines eigenen Zimmers verwöhnen lassen will.


Ich hätte das vielversprechende Wellness-auf-dem-Zimmer- Angebot ja wirklich gerne in Anspruch genommen, aber selbst babelfish war hier überfordert:

"Wenn die Kunden nicht geplanten Behandlungen (Massage, Sauna) abgebrochen oder erscheint nicht auf dem gleichen werden sie 50 % des angebotenen Preises berechnet. Wenn Gäste finden Sie Massage im selben Raum, den es belastet wird 100 % von der vorhandenen Preis im Preis des Betrags erhöht oder Borgen von doppelten Preis Betrag".


Es schien sich (nicht allzu überraschend) um Dunkelziffern zu handeln. Deswegen wollte ich es dann doch nicht drauf ankommen lassen und habe schweren Herzens auf ein "Parcial massage / Peeling body"-treatment verzichtet. Wer weiß was dabei noch alles kaputt gegangen wäre? Marode Fassaden mit abblätternder Farbe gab es hier ja schon genug. Selbst in der Stadtbibliothek, die ich auf eine plausible Übersetzung dieses enigmatischen Textes hoffend besuchte, tappte man völlig im Dunkeln.

Auch bei den Einheimischen und Touristen am Taubenturm konnte ich mir leider kein Gehör für mein Anliegen verschaffen. Also habe ich als letzte Instanz in einigen Kirchen Beistand gesucht. Jesus Maria! Das dankbare "Vergelt's Gott", das ich schon auf den Lippen hatte, konnte ich mir auch hier sparen (und damit allerdings auch das Geld für die Massage), denn selbst meine Anfrage an Gott ging wohl ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Unerhört!Zwei Jahre später der nächste Besuch. Diesmal war ich zu einer Konferenz eingeladen. Die im Parlamentsgebäude stattfinden sollte. Kurz nach Konferenzbeginn startete draußen eine Demo. Für mehr Kinderrechte, insbesondere für eine bessere Krankenversicherung für Kleinstkinder. Sehr löbliches Anliegen. Von draußen wurde dann aber gemeldet, es hätten sich eine stattliche Anzahl an Demonstrationstouristen“ eingefunden.




Die weniger an der Gesundheit der Kinder als an einer prima Gelegenheit zum Randalieren interessiert seien. Wir dürften, so die Parlamentssecurity, zu unserer eigenen Sicherheit das Gebäude erst einmal nicht mehr verlassen. Was nach vierzehn, fünfzehn Stunden so gegen Mitternacht ein wenig lästig zu werden begann.


Gut sicher, man hätte die "Demonstranten" einfach mit der Polizei abräumen können. Um die Polizei aber zu mobilisieren hätten der Kanton, die Teilrepublik und der Föderalstaat um dessen Parlament es sich immerhin handelte gemeinsam einen entsprechenden Beschluss fassen müssen, Oder nacheinander.


Jedenfalls alle denselben."Das kann dauern", meinte der Parlamentspräsident, "ich hoffe, Ihr habt Euch ein paar Jahre Zeit mitgebracht?". Na ja, einer der Konferenzteilnehmer kannte den Chef der Blauhelmtruppen in Bosnien ganz gut. Und irgendwie haben die hinreichend viel Druck gemacht, dass wir schon um 5:00 Uhr morgens durch einen Polizeikordon das Parlament verlassen konnten.


Vielleicht wäre das mit den zwei Millionen Staaten doch nicht die schlechteste Idee. Auch mit Blick auf die Balkanroute. Bis die Flüchtlinge da hindurch sind und zweimillionenmal Grenzformalitäten durchlaufen haben, sind sie so gut im Grenzwesen ausgebildet, dass wir sie direkt und ohne Spurwechsel als Fachkräfte beim Bundesgrenzschutz oder beim Zoll einsetzen könnten.


Fazit: Bosnien ist eher was für einen Abenteuerurlaub.

Isch kandidiere!.

Stadtbibliothek Sarajevo:

leider nicht für Übersetzungen gerüstet

Auch am Taubenturm in Sarajevo

stieß Willi Igel nur auf taube Ohren

St. Wilhelm, der einzig wahre  Herz-Jesu-Kathedrale (katholisch)

 Mariä-Geburt-Kathedrale (serbisch-orthodox)

Update:

Seitdem zeichnen sich - insbesondere was den Feminismus angeht - in Bosnien-Herzegowina gewaltige Fortschritte ab: 2016 schaffte es die Journalistin Indira Sinanovic als erste Muslima, einen der begehrten Listenplätze für die Stadtratswahl von Zavidovici zu ergattern, müsste ihre Kandidatur aber wegen Verschleierung von Tatsachen letztendlich wieder zurückziehen. Der Niqab steht ihr trotzdem äußerst gut zu Gesicht und wäre sicherlich auch für die eine oder andere deutsche Politikerin von Vorteil.


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