WGW - Willis Gourmet Werkstatt
- Vierschänkentournee Etappe 36 -
Schloss Berg - Victor's Fine Dining
Christian Bau

„Genau“ – ein Wort von gerade einmal bescheidenen fünf Buchstaben, nicht einmal besonders ausgefallenen dazu, und doch innerhalb weniger Jahre aufgestiegen zum Superstar des Dummdeutsch.


Eine rasante Karriere von der grauen Maus im Duden, adjektivisch auf Präzision hindeutend oder auch schon mal als zustimmende Interjektion ins Gespräch geschmissen, weniger zum Ausdruck bringend, dass man die Meinung des Vorredners tatsächlich ganz exakt teile, denn diesen höflich ermunternd, ihm Unterstützung signalisierend, vielleicht auch um sich vom Lager der ja immer irgendwo lauernden ganz anders Denkenden abzugrenzen.


Doch die Zeiten dieses verbalen Mitläufertums sind für unser „Genau“ vorbei. Heute eröffnet das Wort nicht nur Sätze, sondern ganze Vorträge. Doch nicht um Zustimmung zu einem oft nicht einmal in Erscheinung getretenen Vorredner zu signalisieren, sondern als Spezialfall des „non sequitur“, es folgt auf nichts und aus nichts. Es überspielt nur die Unsicherheit des Sprechers, sei es in einer Diskussion, sei es am Rednerpult.


Damit ersetzt das „Genau“, das hier groß geschrieben werden muss, da es nun ja grundsätzlich am Satzanfang zu stehen hat, nun mehr und mehr das gute alte „Ja, also“, mit dem früher unbeholfenere Rhetoren zu ihren Einlassungen anhuben, oft sogar in der extended version, dem „Ja, also, ähm, äh“. Die Zögerlicheren auch mit bis zu fünf gefühlten „a“ im aaaaalso, womit man sich schon in gefährlicher Nähe der Kuttelwurst Andouillette AAAAA bewegte und doch eher wie eine Andouille wirkte, ein Trottel.

Doch, genau, ich schweife ab, ich wollte ja vom „Genau“ sprechen, das gegenüber dem „Ja also“ eine Art Bonus-Funktion besitzt. Es suggeriert Übereinstimmung des folgenden Vortrags mit der Meinung des Auditoriums. „Seiet ohne Furcht“, ruft es den Anwesenden mit fast schon pontifikaler Anmaßung zu, „ich bin bei Euch und auf Eurer Linie, das mache ich gleich mit dem ersten Wort deutlich“. Deswegen muss das neue „Genau“ im Unterschied zum alten „genau“ auch durch ein Komma vom folgenden Restsatz abgetrennt werden. Der Sommelier, der an den Tisch tritt und uns zuraunt: „Genau, das hier ist unsere Weinkarte“ – er will damit nicht zum Ausdruck bringen, dass wir das seltene Glückserlebnis erfahren dürfen, ganz genau die Weinkarte des Hauses zu erhalten, neben der vielleicht noch viele, derselben nur ähnelnde, mit ihr aber nicht übereinstimmende Raubkopien im Umlauf sein mögen.


Nein, er weiß nur seinen Satz nicht mit dem Wesentlichen anzufangen, der Sommelier. Und heischt nach Zustimmung, was hoffentlich nicht verheißt, dass die von ihm erstellte Weinauswahl diese Zustimmung per se nicht fände. Den „Genau“-Adepten ist das wohl nicht klar, dass der Versuch, sich der Zustimmung vorab zu vergewissern eher verdächtig wirkt und nun gerade das Misstrauen des Gegenübers wecken mag. „Schlagt mich nicht, eine bessere Weinkarte hätte ich Euch zwar vielleicht gerne gebracht, habe ich aber leider nicht zur Verfügung“, könnte er auch sagen, der Herr Sommelier.

Genau, ich wollte eigentlich ja über das Essen schreiben. Es wird Zeit, mal langsam zum Thema zu kommen. Ja, also, ich war mal wieder auf Schloss Berg. Wo es sich ja durchaus leben lässt. Weil die Küche genau arbeitet. Also jetzt präzise, das genau mit kleinem "g". Man merkt es schon bei den Amuses.

Da kommt ein Chorizo-Röllchen, etwa Keks außenherum, drinnen eine cremige Füllung. Dezent, aber mit prägnantem Chorizo-Geschmack, sehr fein und lang im Abgang.

Ganz exquisit auch das Tatar auf einem Kartoffelchip, abgerundet mit zwei winzigen Pilzen, etwas Klee und einer geheimnisvollen Mischung von Gewürzen, aus der ich etwas Kümmel herauszuschmecken vermeine. Gleich noch ein Chip daneben, aus Rote Bete, mit fast rohen Wasabi-Garnelen. Dieses Häppchen beweist einmal mehr, dass Rote Bete und Wasabi wie füreinander gemacht sind.
Und sich gegenseitig zu zügeln, dass genug Spielraum für die sehr feinen Garnelenaromen bleibt. Wenn man präzise arbeitet, genau!

Nicht ganz so gelungen fand ich aus dem Quartett nur die Apfelmeringue mit Gänsestopfleber und Räucheraal. Der Aal, dieses Biest, ist einfach nicht einzufangen. Also geschmacklich, denn dem Angler wird er sich ja kaum freiwillig gestellt haben. Er schmeckt vor und drängelt die Leber in die Kulisse. Dennoch ebenfalls ganz nett.

Als nächstes serviert man uns ein Wachtelei mit Trüffelspinat und Schinkenschaum. Genial! Weil die Komponenten hier wieder perfekt abgestimmt sind, ein Hauch Trüffel, ein Spürchen Spinat, die paar Schinkenwürfelchen geben auch nur eine Idee vom toten Schwein.

Dazu ein leicht räuchriges Element aus dem Schaum und der Eigengeschmack des Wachteleis. Voll auf dem Punkt, besser geht es nicht. Und auch die Anrichtekunst verdient Applaus, in einem Porzellanei serviert, das ist fast Understatement.


Noch ein Gruß aus der Küche, die Tom Kagay-Suppe. Ein Gericht aus der Thaiküche, mit leichter Schärfe, einer kräftigen Limonennote und einer Schaufel Kokosgeschmack.


Sehr intensiv und wunderbar lang ohne zu kräftig oder vordergründig zu wirken. Superb! Dazu Kropoek mit Hummer und japanischem Rettich. Ebenfalls unglaublich intensiv, noch einmal ein kleines Meisterwerk am Rande, davon hätte ich gerne mehr als einen Appetithappen genossen!

 Passt überdies perfekt zur Suppe, der Igel beginnt mit ersten Verbeugungen gen Küchentür! Noch immer sind wir nicht am Ende dessen, was Christian Bau bescheiden den "Prolog" nennt, also die Ouvertüre vor dem eigentlichen Menü.


 Nun lässt er uns einen Faeroerlachs in einer Ceviche aus Koriander, Zitrone und roher Zwiebel bringen, serviert mit Quinoavariationen. Ein grandioser Fisch, fast roh auf den Tisch gestellt, nur ganz leicht angegart. Superbe Sauce, die rohe Zwiebel bleibt erstaunlich dezent, der Koriander setzt das Leitmotiv, die Zitrone bringt Frische, ein Tupfer Jalapenocreme eine feine Schärfe und der angeröstete Quinoa vielleicht nicht die ganz große Geschmacksexplosion aber eine andere Textur und einen toastigen Hauch. Wieder eine geniale Komposition!


Und noch ein letztes Amuse, eine Geflügelroyale, also ein Geflügelflan, in den auch ein wenig Stopfleber Eingang gefunden hat, glasiert mit einer rotfruchtigen Portweinreduktion und etwas Parmesanschaum. Mir ist es vielleicht ein Spürchen zu viel Port. Die Kombination als solche funktioniert aber sehr gut, auch weil der Parmesan sparsam eingesetzt wird und der Port ein natürlicher Freund des Geflügels und der Stopfleber ist. Hier versagt mir der Maitre das Foto, seltsame Gebräuche!

Vor dem eigentlichen Menü hole ich kurz Luft und werfe auch mal einen Blick in die Runde. Das Schloss, das von außen eher an eine Burg erinnert, gibt sich innen durchaus fein aber nicht verkitscht.


Die wuchtige Kassettendecke ist das einzige, das wirklich an einen Herrensitz alten Stils erinnert.


Ansonsten schlichte Eleganz, Parkett, ein wenig Marmor zwischendrin, sachliche Holztische ohne Schnörkel, bequeme cremefarbene Ledersessel, ein paar Rosen auf dem Tisch, das ganze wirkt gemütlich und entspannend.

Dazu trägt auch der Service bei, flott, freundlich aber nicht aufdringlich, so mag ich es - außer jetzt der Sache mit dem Foto. Inzwischen hat die Küche den ersten Gang angerichtet. Gänseleber aus den Landes mit Kaisergranatscheibchen, Apfelessenz, Rauchmandeln und Foie Gras-Eis. Hmm, für mich jetzt nicht ganz so gelungen. Vielleicht weil die Leber nur gut aber nicht exzellent ist und deswegen vom Kaisergranat granatenmäßig an die Wand gespielt wird? Das gleichen dann aber wieder die ganz hervorragenden kleinen geeisten Stopfleberkügelchen aus, die als Kranz um Granat und Leber gestreut waren. Der Apfel bringt eine sehr feine Frucht mit ins Spiel, das Stopflebereis mit seinem Hauch Portwein - wieder diese Kombination - passt bestens dazu und ist für sich alleine eine Reise wert. Insgesamt ein exquisiter Gang auf Dreisterneniveau, auch wenn ich die Balance zwischen Leber und Granat nicht ganz perfekt fand.

Einen vierten Stern hätte dann die Jakobsmuschel mit Kohlrabivariationen und Beurre-Blanc-Dashi-Sauce verdient. Eine perfekte Coquille, na gut, das ist sicherlich noch kein Grund, in Extase zu verfallen, aber dann diese sensationelle, weinige Sauce dazu, einen Hauch asiatisch angeleckt, mit etwas Schnittlauch abgerundet.


Dazu Kohlrabi als Püree und in pochierten Stückchen, das ergänzt die Muschel ganz wunderbar und gibt der Sauce einen leicht erdigen Unterbau, der sie noch intensiver wirken lässt. Weltklasse!


Ähnlich beeindruckend dann der Wolfsbarsch. In einer Vinaigrette angerichtet, die den Igel ins Träumen brachte - leicht, saftig, im intensiven Dialog mit Auberginenpüree, etwas Lauch und den ausgebackenen Ladyfingers.

Eine Spur auf der räuchrigen Seite, das ist eigentlich ja nicht so mein Ding, hier passt es aber, weil es eben wirklich nur diese Spur ist. Und weil der Kreuzkümmel, der sich irgendwie in die Sauce geschlichen hat, das auffängt und andere Würzkomponenten dazu gesellt. Unglaublich dicht und kräftig. Ich bin begeistert.



Als Fleischgang steht an diesem Tag US Prime Beef auf dem Programm, mit Trüffelsauce, na klar. Die ist perfekt, nämlich wunderbar intensiv und genau so abgeschmeckt, dass sie das Rind leben lässt.


Na ja, jetzt nicht buchstäblich, mehr so organoleptisch, genau! Auch weil neben der Tuber eine massive Rinderessenz in die Sauce gewandert ist. Und natürlich war das ein exquisites Fleisch, sowohl das erste Stück - aus dem Rücken - als auch das zweite Stück - aus der Zwischenrippe.


 Interessant das Zusammenspiel mit den Topinamburvariationen, die als Sättigungsbeilage mit an Bord waren. Etwas erdig aber nicht mehlig,


Das Püree leicht angeräuchert und schön würzig, die Stückchen genau auf dem Punkt und intensiv, nur die Röllchen, die mit Brotkrümeln überstreut waren, wirkten mir etwas zu erdig.

Zeit für Desserts. Zunächst gab es einen gefrorenen "Schneeball" aus Yuzu und Sakecreme, der innen mit rosa Shizukresseeis gefüllt war. Sehr intensiv, sehr asiatisch, schön bitter mit süßlichen Fruchtaromen. Extravagant aber köstlich!


Als zweites Dessert dann der "Bananensplit", Banane in unterschiedlichen Formen und Texturen, als ausgebackene Scheibe, frittiert, roh, gebraten und als Mousse. Dazu Schokolade, ebenfalls in unterschiedlichen Texturen - als Kuchen, Eis und Creme.


Obendrauf Bananenkrümel, die aussehen wie Macadamianuss-splitter, dazu Vanilleeis, das passt alles optisch wie geschmacklich sagenhaft gut und darf sich getrost als Neuerfindung des guten alten Bananensplits patentieren lassen.

Natürlich werden wir auch noch mit Mignardises beglückt, eine "Joghurettepraline" zum Beispiel, bei der ich nicht ganz weiß, ob ich mich darüber freuen soll, den längst vergessenen Geschmack der Billigschokolade meiner Jugend wieder gefunden zu haben, oder mich eher ärgern soll, dass es eben nicht nach guter Schokolade, sondern nach Joghurette schmeckt.


Mimikry gelungen, Patient tot, oder so. Das Olivenölgummibärchen fällt für mich auch unter die Rubrik "Geschmackserlebnisse, an die man sich erst gewöhnen muss".


Die Süße des Gummibärchens kommt mit dem olivig-öligen Leitmotiv dann doch nicht so recht auf einen Nenner.


 Dafür überzeugt mich der Yuzu-Negerkuss mit weißer Schokolade um so mehr.

Ein paar Knusperkrümel peppen ihn noch auf, daneben geben sich Japanmandarine und süßliche Schokolade die Hand, klatschen sich ab und treffen meine Papillen voll auf die Zwölf. Treffer versenkt! Sehr delikat das brulierte Zitronenküchlein, nicht zu sauer, nicht zu platt, sondern fein und elegant. Das Himbeermacaron so wie es sein muss, nicht fett, mandelig, leicht, dezente Frucht im Hintergrund. Und selbst die Kaffeekakaopraline schmeckt mir, der ich Kaffee eigentlich meide, weil wiederum dezent und fein gearbeitet wurde.


Genau, man kann im Fazit festhalten, dass Bau noch immer auf höchstem Niveau arbeitet, sehr genau abschmeckt, auch komplexe Aromen fast immer perfekt zu balancieren versteht, innovativ aber nicht maniriert arbeitet und gekonnt fernöstliche Elemente in die klassische Küche einbaut. Damit steht er ziemlich weit oben in Deutschland, für mich auf einem Niveau mit Wohlfahrt, Thieltges und Jürgens an der Spitze. Störend nur der etwas bürokratische Ansatz, das große Menü nur bei pünktlichem Eintreffen anzubieten. Die Gäste am Nachbartisch waren etwas spät dran und sehr enttäuscht, dass sie nur noch ein kleines Menü bekamen. Und warum das Fotografieren unerwünscht ist, habe ich bis zum Schluss nicht verstanden - und deswegen das Verbot einfach missachtet.


Auch die 37. Etappe der Vierschänkentournee führte mich wieder in bergige Gefilde.


Share by: